Filmrezension von Dr. Dorothea Höck
Rezension über den Dokumentarfilm „In engen Grenzen-Leben mit CFS“, eine Reportage von Gabriele und Werner Knauf über Menschen mit Myalgischer Encephalomyelitis/Chronic Fatigue Syndrom.
von Dr. med. Anna Dorothea Höck
Verfasst: 12. August 2012
Gabriele und Werner Knauf sind Psychotherapeuten und haben erkannt, wie wichtig es ist, dass das Krankheitsbild Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Müdigkeitssyndrom (ME/CFS) in der Öffentlichkeit bekannt wird.
In der Reportage werden Menschen gezeigt, einstmals lebensfroh und tatkräftig, die aber irgendwann plötzlich, und aus unklarer Ursache, öfters jedoch nach einem schwer verlaufenden Infekt, sich nie mehr erholen, und eine schwerwiegende Leistungseinschränkung zurückbehalten, die sie aus Ausbildung oder Berufsleben herausreißt. Einige Erkrankte sind sogar vor körperlicher Schwäche auf einen Rollstuhl angewiesen. Das typische Erkennungszeichen für ME/CFS ist die Verschlechterung der Restleistungsfähigkeit nach einer relativ zum Leistungsvermögen zu großen Anstrengung, und wird in der Reportage eindringlich herausgearbeitet. Das meist erfolglose Ringen der Erkrankten um Wiedererlangung ihrer Gesundheit, die Verzweiflung und die Ängste, und die erkennbare, unendlich große Bürde für die Erkrankten und ihre Familien berühren den Betrachter schmerzlich.
Besonders belastend jedoch ist für die Betroffenen, dass derzeit die Ursache von ME/CFS noch nicht befriedigend aufgeklärt ist. Noch schwerer wiegt, dass in Deutschland Leit- und Richtlinien für Ärzte herausgegeben worden sind, die die falsche Meinung sprichwörtlich zementieren, es handele sich um eine seelisch ausgelöste Erkrankung. Diese dient dann zur Grundlage für dementsprechend falsche Therapieempfehlungen. Vordergründig ist damit eine Scheinlösung des Problems gefunden worden, die darin besteht, Verhaltenstherapie und Aufbau-Krafttraining sowie antidepressive Psychopharmaka-Therapie durchzuführen. Aufmerksame und einfühlsame Ärzte müssten eigentlich alle erkennen, dass die Realität, die die Kranken erleben, nicht zu diesen Leitlinien und Therapieempfehlungen passt.
Aber nur wenige, darunter die, die in der Reportage Stellung nehmen, reagieren so. Es wird verdeutlicht, wie die meisten Ärzte nicht genau beobachten, nicht hinterfragen und zweifeln, geschweige denn, dass sie sich die Zeit nähmen bzw. meist auch nicht finden, um sich mittels internationaler neuer Literatur zum Problem zu belesen. Traurig ist es, in der Reportage mitzuerleben, wie sogar grobe Entwertungen und nicht fundierte Unterstellungen mit erdrückenden Schuldzuweisungen leichtfertig und äußerst unprofessionell von begutachtenden Ärzten ausgesprochen werden. Dennoch trifft die größte Schuld diejenigen, die an den obersten Schalthebeln des Gesundheitswesens sitzen und kraft ihrer Macht und Amtes zu dieser generellen „Fehl-Meinungsbildung“ verleiten. Die Weigerung zahlreicher Institutionen des Gesundheitswesens, sich zum Thema vor laufender Kamera zu äußern, gibt zu denken. Ist das Thema ihnen die Mühe nicht wert, oder fühlen sie sich so unwohl bei dem Thema, da ihr Unbewusstes ihnen signalisiert, dass etwas nicht stimmt an den propagierten Deutungen? Haben sie gar Angst vor Repressalien, wenn sie Zweifel oder Unsicherheit, vielleicht sogar offene Kritik äußern würden?
Es bleibt zu hoffen, dass dieser realistische und betroffen machende Film endlich die dicken Mauern des Verschweigens, der Verdrängung, der Ignoranz und irrigen Überzeugungen durchbricht, wodurch bisher das Leiden der Betroffenen unnötig zusätzlich vergrößert wird. Tröstlich ist, dass immerhin der Präsident der Psychotherapeutenkammer betont, dass ME/CFS keine seelische Erkrankung und durch Psychotherapie nicht zu heilen sei. Es ist zu erwarten, dass ebenfalls ein Großteil der Bevölkerung, dank sachlicher Aufklärung, wie es in dem Film geschieht, einstmals gefasste, aber sachlich nicht zu begründende Vorurteile letztendlich verwirft. Unter dem Druck der Öffentlichkeit ändert sich vielleicht dann die versteinert wirkende und sich lähmend auf das ganze Gesundheitssystem auswirkende derzeitige ärztliche Lehrmeinung.