5. Auflage des Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM-V)
Die American Psychiatric Association hat die 5. Auflage des Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM-V) verabschiedet. Übersetzt bedeutet DSM so viel wie Verzeichnis für psychische Störungen.
Das DSM wurde erstmals 1952 herausgegeben und hat sich seither neben dem International Classification of Diseases (ICD) der Weltgesundheitsorganisation, das nicht nur psychiatrische Erkrankungen umfasst, zu einem grundlegenden Klassifikationsystem entwickelt, das in viele Sprachen übersetzt wurde. Das DSM ist auf der ganzen Welt anerkannt und beeinflusst maßgeblich das für Deutschland gültige Krankheitsverzeichnis ICD (International Statistical Classification of Diseases) der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Aktuell ist das Krankheitsverzeichnis in der Version ICD-10 klassifiziert. Im Jahr 2015 wird das überarbeitete ICD-11 erscheinen, das DSM-V wird hierfür als Vorlage dienen.
Die neue DSM 5-Diagnose enthalt eine neue Kategorie des "Somatic Symptom Disorder (SSD)". Dies hat weltweit große Empörung, insbesondere auch in der Fachwelt, ausgelöst. Die DSM-V kann die Situation auch für Menschen mit ME/CFS weiter verschlechtern. Es wird befürchtet, dass die DSM-V dafür missbraucht wird, noch stärker als bisher organische Erkrankungen zu psychiatrisieren. Die neue DSM-Definition führt dazu, dass körperliche Erkrankungen, leicht unter die neuen Kriterien als psychische Störung fehldefiniert werden könnten.
Das SSD ist dabei so unkonkret in der DSM 5 definiert, dass es einen von sechs Menschen mit Krebs und Herzerkrankungen fehldiagnostiziert; einen von vier mit Reizdarm und Fibromyalgie und einen von vierzehn, die nicht einmal medizinisch krank sind.
"Vor vielen Jahren, sagte der verstorbene (umstrittener Psychoanalytiker und Professor für Psychiatrie) Thomas Szasz:" In den Tagen der Malleus, wenn der Arzt keine Anzeichen einer natürlichen Krankheit finden konnte, wurde erwartet, dass Beweise der Hexerei gefunden wurden: wenn der Arzt heute, keine organische Erkrankung diagnostizieren kann, wird erwartet, dass psychische Erkrankungen diagnostiziert werden. " Mit der im DSM 5 lose definierten Somatic Symptom Disorder wird Szasz schlimmste Angst wahr." (Suzy Chapman http://dxrevisionwatch.com/)
Allen Frances, MD, war Vorsitzender des DSM-IV Task Force und der Abteilung für Psychiatrie an der Duke University School of Medicine, Durham, NC. Derzeit ist er emeritierter Professor an der Duke.
Im "Psychologie Today – DSM 5 in Distress" berichtet Allen Frances, MD, ausführlich über die DSM und die Auswirkungen auf die psychische Gesundheit in Praxis und Forschung. http://www.psychologytoday.com
Hinweis:
Sehr lesenswert sind auch die veröffentlichten Leserbriefe unter dem Artikel!
Die deutsche Übersetzung des Blogs jetzt auch auf cfs-aktuell
"Wenn nur irgend etwas im diagnostischen System missbraucht und in eine Modeerscheinung verwandelt werden kann, wird es dazu kommen"
und
"...Es wird sogar noch lächerlicher. Die Definition des SSD ist so ungenau, dass sie sogar 7% der gesunden Menschen erfasst (das sind allein in den USA 14 Millionen Menschen) und macht damit diese Pseudodiagnose zu einer der häufigsten aller ‚psychischen Störungen’ in der Allgemeinbevölkerung."(so Allen Frances).
"...Das war die Geschichte des DSM-5 von Anfang bis Ende: übermäßiger Ehrgeiz, desorganisiertes Vorgehen, abgeschotteter Entwicklungsprozess, Tunnelblick und die Gewinne durch die Veröffentlichung über das öffentliche Vertrauen zu stellen. Das Ergebnis – eine Ausdehnung psychiatrischer Diagnosen, die gefährlich und wissenschaftlich unsolide ist."
(Dimsdale JE. Medically Unexplained Symptoms: A Treacherous Foundation for Somatoform Disorders? Psychiatry Clin North Am. 2011 Sep; 34(3):511-3.)
Ähnliches erlebten 1988 Menschen mit Benigner Myalgischen Enzephalomyelitis, als die anerkannte Krankheitsbezeichnung von der US- amerikanischen Gesundheitsbehörde CDC in Chronic Fatigue Syndrome umgewandelt wurde. Plötzlich entstanden Begriffsgreationen wie Yupie-Flu, neues modernes Leiden (wurde insbesondere auch von Dr. Hausotter/Sonthofen geprägt) und andere stigmatisierende und banalisierende Namen. Diese verbreiteten sich dann in Windeseile in der Öffentlichkeit, in den Medien und leider auch in der medizinischen Fachwelt. Mit schwerwiegenden Folgen für die Betroffenen und deren privatem Umfeld.
Weitere interessante Berichte zur DSM-V finden sich in der Zeitung "die Welt" auf
und
und
Psychiatrie und Menschenbild – made in USA
Gedanken zur Entwicklung des weltweit meistgenutzten Diagnosemanuals DSM anlässlich der für das Jahr 2013 vorgesehenen Neuausgabe
von Dipl. Psych. und Psychotherapeutin Brigitte Kendel, Berlin
Ausschnitte aus dem o.g. Fachaufsatz:
"Ursprünglich angetreten mit der Intention einer weitestgehenden Erfassung und hilfreichen Versorgung aller von psychischen Problemen Betroffenen, warnen ehemalige Autoren heute vor ihrem jetzigen Erfahrungshintergrund vor dem Ausbau weiterer Diagnosen und der Aufnahme von Klassifikationen im DSM-V, die Menschen, welche nie ernsthafte psychische Probleme hatten, pathologisieren und normale Lebenskrisen und Entwicklungsschwankungen zu pathogenen Ereignissen machen."...
..."Dies bedeutet neben den finanz- und gesundheitspolitischen Implikationen eine drohende Pathologisierung des Normalen, eine Flut medikamentöser Behandlungen und nicht zuletzt eine Rasterung und Normierung der menschlichen Persönlichkeit. «DSM-V könnte die Welt mit zehn Millionen neuer, aber falscher Patienten füllen» (Allen Frances, zitiert nach «Süddeutsche Zeitung» vom 9./10. Juli 2011, S. 22)."...
..."Aus Präventionsgründen werden Kinder immer öfter Tests unterzogen und sind in Gefahr, dass Entwicklungsschwankungen fälschlicherweise pathologisiert und medizinisch behandelt werden. «Auf jeden jungen Patienten, der richtig diagnostiziert wurde, kommen zwischen drei und neun Menschen, die fälschlicherweise zu Patienten gemacht werden» (Allen Frances, zitiert nach «Tagesspiegel» vom 27. Juli 2011)."
"Bedenkt man die Wirkung des DSM und ähnlich aufgebauter Manuale im Hinblick auf den hippokratischen Eid – der besagt, als erstes keinen Schaden anzurichten – so erbringen sie keine adäquate Hilfe zur erhofften Linderung individuellen psychischen Leids, sondern fungieren eher als institutionalisierte Instrumente, die für die Betroffenen und deren soziales Umfeld zur Quelle von Leid, sozialer Diskriminierung, Etikettierung und Stigmatisierung werden können."...
Weitere Berichte und Veröffentlichungen
Personal View
BMJ: The new somatic symptom disorder in DSM-5 risks mislabeling many people as mentally ill