Alle vier ME/CFS-Patientenorganisationen fordern Runden Tisch mit Ministerien, Betroffenen und Wissenschaftlern.

In Reaktion auf die Resolution zu ME/CFS des Europäischen Parlamentes haben sich die vier Patientenorganisationen, Deutsche Gesellschaft für ME/CFS, Fatigatio e.V., Lost Voices Stiftung und #MillionsMissing Deutschland, an die Politik gewandt.  

 

In einem offenen Brief fordern die Organisationen einen Runden Tisch aus Vertretern des Bundesministeriums für Gesundheit, des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales sowie Vertreter:innen der Fachkreise, der Wissenschaft und ME/CFS-Patientenorganisationen.   

 

Ziel des Runden Tisches ist, die Forderungen der Resolution des Europäischen Parlamentes umzusetzen. Der »Entschließungsantrag zu zusätzlichen Finanzmitteln für die biomedizinische Forschung zu der Krankheit Myalgische Enzephalomyelitis« wurde am 18. Juni mit  überwältigender Mehrheit (676 Ja- Stimmen) angenommen. Er identifiziert ME/CFS als »verborgenes Problem im Gesundheitswesen« in der EU. Neben der Aufforderung an die Kommission Geld für biomedizinische Forschung bereit zu stellen, müssen die meisten Forderungen innerhalb der Länder umgesetzt werden. So fordert das Parlament:

 

  • »alle Mitgliedstaaten auf, entschlossen die notwendigen Schritte zu unternehmen, um dafür zu sorgen, dass ME/CFS die gebührende Anerkennung findet«;
  • »dass die Kommission Finanzmittel bereitstellt, damit das Fachpersonal im Gesundheitswesen und in der Sozialfürsorge, das mit ME/CFS-Patienten arbeitet, eine angemessene und verbesserte medizinische Aus- und Weiterbildung erhält«; 
  • »dass innovative Projekte durchgeführt werden müssen, mit denen für eine koordinierte und umfassende Datenerhebung zu dieser Krankheit innerhalb der Mitgliedstaaten gesorgt werden kann«; 
  • »die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, Aufklärungs- und Sensibilisierungskampagnen für Fachkräfte des Gesundheitswesens und für die Öffentlichkeit ins Leben zu rufen, um die Bevölkerung auf die Existenz und die Symptome von ME/CFS aufmerksam zu machen«.

 

Dies wollen die ME/CFS-Patientenorganisatoren im Runden Tisch gemeinsam mit den Ministerien und Experten umsetzen.

  

 

Der Text des offenen Briefes:  

 

Sehr geehrter Herr Staatssekretär, 

 

  
das Europäische Parlament hat am 18. Juni eine Entschließung zur Erkrankung Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue-Syndrom (ME/CFS) verabschiedet (Anlage 1). Darin fordert das Europäische Parlament die Mitgliedstaaten auf, entschlossen die notwendigen Schritte für angemessene biomedizinische Forschungsförderung, Anerkennung und Aufklärung zu unternehmen. Über hundert Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler – auch aus Deutschland – haben diesen Entschließungsantrag unterstützt (Anlage 2).  

 

Daher wenden wir uns heute an Sie: Um die vom Europäischen Parlament benannten Herausforderungen unmittelbar anzugehen, schlagen die vier deutschen ME/CFS-Patientenorganisationen – Deutsche Gesellschaft für ME/CFS, Fatigatio e.V., Lost Voices Stiftung und #MillionsMissing Deutschland – vor, einen Runden Tisch zu veranstalten. Daran könnten die Ressorts Gesundheit, Bildung und Forschung sowie Arbeit und Soziales teilnehmen, außerdem Vertreterinnen und Vertreter aus den Fachkreisen, der Wissenschaft und der ME/CFS-Patientenorganisationen. Aufgrund der Corona-Pandemie möchten wir ein Online-Format anregen, auch um den teilnehmenden ME/CFS-Betroffenen entgegenzukommen, die aktuell – als mögliche Risikopatientinnen und Risikopatienten – sowie generell nur schwer reisen können.    

 

Hintergrund: ME/CFS gehört zu den letzten großen Krankheiten – unerforscht, unterversorgt, unverstanden  

 

Das Europäische Parlament bezeichnet ME/CFS als »verborgenes Problem des Gesundheitswesens«. In Deutschland sind rund 250.000 Menschen an ME/CFS erkrankt, darunter 40.000 Kinder und Jugendliche. ME/CFS ist eine schwere chronische Krankheit, die oft zu einem hohen Grad körperlicher Behinderung führt. Ein Viertel aller Betroffenen kann das Haus nicht mehr verlassen, viele sind bettlägerig und auf Pflege angewiesen. Schätzungsweise über 60 % sind arbeitsunfähig. 

 

ME/CFS wird seit einem halben Jahrhundert von der Weltgesundheitsorganisation anerkannt – dennoch gibt es keine zugelassene Behandlung, keine offizielle Forschungsförderung, keine eigene Leitlinie und die Erkrankung ist nicht Inhalt der ärztlichen Ausbildung. Trotz der Zahl von Betroffenen, der Schwere der Erkrankung und der äußerst niedrigen Lebensqualität ist ME/CFS in der Öffentlichkeit und Versorgung so gut wie unbekannt und wird oft missverstanden. Aktuelle Erkenntnisse aus der Wissenschaft, wie Hinweise auf Störung des Energiestoffwechsels, virale Trigger und ein Autoimmungeschehen, kommen in der breiten Medizin nicht an. Die gesellschaftlichen Folgen sind groß: Das Europäische Parlament schätzt den wirtschaftlichen Schaden für die Europäische Union auf 40 Milliarden Euro im Jahr.   

 

Das Europäische Parlament fordert von den Mitgliedsstaaten unter anderem:  

 

•      »entschlossen die notwendigen Schritte zu unternehmen, um dafür zu sorgen, dass ME/CFS die gebührende Anerkennung findet«; 

 

•      »Aufklärungs- und Sensibilisierungskampagnen für Fachkräfte des Gesundheitswesens und für die Öffentlichkeit ins Leben zu rufen, um die Bevölkerung auf die Existenz und die Symptome von ME/CFS aufmerksam zu machen«; 

 

•      »innovative Projekte (…), mit denen für eine koordinierte und umfassende Datenerhebung zu dieser Krankheit innerhalb der Mitgliedstaaten gesorgt werden kann«; 

 

•      »verstärkte internationale Zusammenarbeit im Bereich der Erforschung von ME/CFS«. 

 

 

Runder Tisch: gemeinsam die Herausforderung ME/CFS angehen  

 

Die Resolution erklärt: »Das Europäische Parlament betont, dass es immer dringlicher wird, die menschlichen und sozioökonomischen Folgen [von ME/CFS] anzugehen«. Diese Herausforderung erfordert eine konzertierte Anstrengung aller Akteurinnen und Akteure im Gesundheitssystem. Daher halten wir das zeitnahe Einrichten eines Runden Tisches für angezeigt. Im März fand das erste Parlamentarische Fachgespräch zu ME/CFS im Bundestag statt, auf das weiter aufgebaut werden kann. 

 

Mit diesem offenen Brief wenden wir uns heute auch an den Staatssekretär im Bundesministerium für Gesundheit und an den Staatssekretär des Bundesministeriums für Bildung und Forschung.   

 

Wir freuen uns auf Ihre Rückmeldung und verbleiben solange 

 

mit freundlichen Grüßen    

 

Daniel Hattesohl, Vorsitzender Deutsche Gesellschaft für ME/CFS  

 

Birgit Gustke, Vorsitzende Fatigatio e.V.  

 

Nicole Krüger, Vorsitzende Lost Voices Stiftung  

 

Initiative #MillionsMissing Deutschland