Sophie Steiner
Bericht über meine Erfahrungen von der Teilnahme am Biomedical Research into ME Colloquium 7
Dieses Jahr (2017) fand vom 31. Mai bis 2. Juni das 7. „Invest in ME Research Biomedical Research for ME Colloquium” (BRMEC7) in London statt. Dank meines Stipendiums der “Lost VoicesStiftung” konnte ich an den ersten beiden Kongresstagen teilnehmen, um so mein Wissen zum Thema CFS/ME zu vertiefen.
Das jährliche Kolloquium bietet eine Plattform zum wissenschaftlichen Austausch und fördert die internationalen Kollaborationen unter den Wissenschaftlern, wovon die Forschung im Bereich CFS/ME stark profitiert. Ziel ist es den Pathomechanismus der Erkrankung aufzuklären und vor allem die diagnostischen Bedingungen und Behandlungen zu verbessern.
Das diesjährige Kolloquium stand unter dem Motto „Der beste Weg die Zukunft vorauszusagen, ist sie selbst zu kreieren“. Im Rahmen des Kolloquiums wurden die aktuellen Entwicklungen im Bereich CFS/ME-Forschung präsentiert und neue Ideen und Forschungsstrategien diskutiert, die als internationaler Standard dienen könnten.
Zudem wurde die Planung der Forschungsfinanzierung und zukünftiger Events besprochen. Dieses Jahr wurden die Vorträge in verschiedene Disziplinen unterteilt, welche Immunologie, Datensammlung, Neuroimaging, Metabolismus, Mikrobiom, Klinische Studien und Biomarker umfassten. So sollten seriöse und kritische Diskussionen zu den einzelnen Themengebieten ermöglicht werden.
Zum Thema Datensammlung präsentierte Dr. Daniel Peterson, von der Sierra international Medicine/Simmaron Research Foundation, Nevada USA, am ersten Tag seine Langzeit-Daten von CFS/ME Patienten nach einem Massenausbruch der Krankheit am Tahoe See in Nevada, USA, in den 1980er Jahren. Dabei gelang es ihm über mehrere Jahre 260 Patienten zu beobachten und klinische Daten zu sammeln.
Dem folgten 4 Vorträge im Bereich Immunologie. Besonders interessant waren hier die Beiträge von Dr. Jo Cambridge, Prof. Michelle West und Prof. Donald Staines. Prof. Donald Staines, von der Griffith Universität in Australien, präsentierte seine Ergebnisse zu der Aktivität des TRPM3 Calciumskanals (Transient receptor potential melastatin 3 ion channels) in Natürlichen Killerzellen (NK-Zellen) in CFS/ME und zeigte eine verringerte Expression dieser Rezeptoren, was in einer beeinträchtigten Funktion dieser resultiert. Dies führt zu einer veränderten intrazellulären Calcium–Homöostase und somit zu einer verringerten Zytotoxizität der NK-Zellen in den Patienten.
Das Team um Dr. Jo Cambridge beschäftigt sich mit B-Zell Subpopulationen in CFS/ME Patienten und konnte Unterschiede im Phänotyp der Gedächtnis-B-Zellen zeigen.
Dies könnte auf eine veränderte Funktion in diesen Zellen hindeuten und eventuell eine Basis für klinische Studien darstellen.
In weiterführenden Untersuchungen ist die Arbeitsgruppe um Dr. Jo Cambridge interessiert an vergleichenden Untersuchungen metabolischer Vorgänge in B-Zell Subpopulationen in CFS/ME Patienten und gesunden Kontrollen. Prof. Michelle West, von der Universität Sussex, veranschaulichte die große Bedeutung der EBNA Proteinfamilie durch Änderung der Genexpression Virus-befallener Zellen am Beispiel der EBV-assoziierten Entstehung des B-Zell Lymphoms. Da eine späte EBV Infektion in einer Gruppe von Patienten die Ausbildung von ME/CFS hervorrief, ist ein ähnlicher Prozess auch während der Entstehung von ME/CFS denkbar.
Der letzte Themenblock des ersten Konferenztages befasste sich mit metabolischen Aspekten der CFS/ME-Forschung. Eröffnet wurde dieses Themengebiet von Prof. Ron Davis von der Stanford Universität in den USA. Das Ziel seiner Forschung umfasst die Entwicklung diagnostischer Methoden mit Hilfe von Biosensoren. Er stellte verschiedene Geräte vor, wie die „Nanoneedle“, zur Messung von Zellen/Molekülen in einem elektrischen System, mit dem er Unterschiede im Strömungswiderstand zwischen CFS/ME Patienten und gesunden Spendern zeigen konnte.
Im weiteren Verlauf sprach Prof. Mady Hornig, Columbia Universität New York, über das metabolische Profil von Bakterien und ihrem Wirt und dessen Auswirkung auf das zentrale Nervensystem.
Darauffolgend stellte Prof. Maureen Hanson, Cornell Universität New York, erste Ergebnisse zu einer Pilotstudie über die unterschiedliche Anreicherung von Metaboliten bei CFS/ME Patienten vor, die auf eine Störung im Fettsäure- und Lipidmetabolismus hindeuten.
Tag 2 begann mit Vorträgen zum Thema Mikrobiom in CFS/ME. Viele Patienten leiden unter dem sogenannten „Leaky Gut Syndrom“, welches eine Vielzahl von Darmbeschwerden mit sich bringt und eine Entzündungsreaktion des Immunsystems hervorruft.
Dr. Ludovic Giloteaux, von der Cornell Universität New York, präsentierte seine Ergebnisse zur Zusammensetzung von Bakterien, Viren und Eukaryoten im Darmmilieu von CFS/ME Patienten. Er konnte Unterschiede in der Komposition dieser Organismen, im Vergleich zu gesunden Spendern, zeigen. Anschließend stellte Prof. Mady Hornig die neueste Mikrobiom-Studie der Columbia Universität vor. Auch hier wurden eine Darmdisbiose und Störungen des Bakterienmetabolismus im Darm bei CFS/ME gezeigt. Dies korreliert wohlmöglich mit dem Schweregrad der Erkrankung.
Der nächste Tagespunkt beschäftigte sich mit den klinischen Studien. Dazu stellte Dr. Olli Polo erste Ergebnisse zu seiner LDN-Studie (low dose naltrexone) vor. Dieser Opioid-Antagonist beeinflusst in geringen Dosen das Immunsystem. Auch wenn dieses Medikament zahlreiche Nebenwirkungen aufweist, scheint es bei ca. 50% der Patienten alle auftretenden Symptome zu verbessern.
Sehr interessant war auch der Beitrag von Prof. Olav Mella, Universität Bergen, zu den Rituximab-und Cyclophosphamid-Studien. Rituximab ist ein Antikörper, welcher ursprünglich zur Behandlung bestimmter Krebsarten eingesetzt wird. Er verdrängt die B-Lymphozyten und setzt somit deren immunologische Wirkung außer Gefecht.
Es wird angenommen, dass bei CFS/ME Patienten bestimmte Antikörper, nach einer bereits überstandenen Infektion, weiter produziert werden. Aufgrund dessen könnte man die Verbesserung der Symptome mit der Entfernung dieser Antikörper-bildenden Zellen erklären.
Zu der „RituxME“ Studie wurden die Ergebnisse aus Phase I und II vorgestellt, sowie erste Ergebnisse der Phase III, in der 152 Patienten behandelt wurden.
Nur die Hälfte der Patienten erhielt Rituximab, die andere Hälfte eine Placeboinfusion. „Entblindet“ wird die Studie im September dieses Jahres, jedoch werden die Ergebnisse nicht vor der Publikation mitgeteilt.
Cyclophosphamid ist ebenfalls ein immunsuppresives Medikament, welches zur Krebstherapie eingesetzt wird. Die „CycloME“ Studie konzentriert sich auf CFS/ME Patienten, welche nicht auf die Behandlung mit Rituximab reagierten oder rückfällig wurden. In einer kleinen Pilotstudie führte die Behandlung bei etwa der Hälfte der CFS/ME Patienten zu einer Verbesserung der Symptome.
Im Folgenden stellte Dr. Ingrid Rekeland die Ergebnisse zu einer Studie über die beinträchtige Funktion des Glukosemetabolismus und des Enzyms Pyruvatdehydrogenase (PDH) vor. PDH spielt eine bedeutende Rolle beim Energiestoffwechsel der Zellen und verbindet die Glykolyse mit dem Citratzyklus in den Mitochondrien.
Die beeinträchtigte Funktion der PDH hat zur Folge, dass der Citratzyklus nicht ausreichend gespeist werden kann und deshalb bestimmte Aminosäuren zur Energiegewinnung eingeschleust werden, welche die PDH nicht benötigen, um in diesen Kreislauf zu gelangen.
Insgesamt führt dies zu einem verminderten Ablauf des Citratzyklus und somit auch zu einer geringeren Energiebildung. Um das Energiedefizit auszugleichen kommt es zu einer vermehrt ablaufenden Glykolyse und folglich einer verstärkten Ansammlung von Laktat in den Zellen der Patienten.
Das ist möglicherweise eine Erklärung für den Erschöpfungszustand der Patienten, der schon bei geringer körperlicher Belastung auftritt.
Den Abschluss der klinischen Studien bildete Prof. Carmen Scheibenbogen, Charité Berlin, mit der Präsentation der ersten Ergebnisse zur Immunadsorbtionsstudie. An dieser Studie nimmt eine Subgruppe von CFS/ME Patienten teil, welche Autoantikörper gegen β adrenerge Rezeptoren besitzen. Diese „ungewollten“ Autoantikörper werden bei der Therapie mittels Immunapherese aus dem Blut entfernt. Die Ergebnisse dieser Studie werden demnächst zur Publikation eingereicht.
Die letzte Disziplin der Tagung beschäftigte sich mit dem Thema „Biomarker“. Dr. James Baraniuk, Georgtown Universität Washington, sprach über epigenetische Veränderungen in kurzen, nicht kodierenden RNAs, den sogenannten miRNAs, bei CFS/ME Patienten.
Sie sind an der Regulation der Genexpression beteiligt und sind daher von großer Bedeutung für eine Vielzahl zellulärer Prozesse, beispielsweise dem Energiemetabolismus oder der Immunabwehr (Cytokine, Chemokine). Veränderungen dieser miRNA könnten somit also bei CFS/ME Patienten als potentieller Marker dienen. Auch Dr. Lubov Nathanson, von der Nova Southeastern Universität in Fort Lauterdale, sprach über epigenetischen Veränderungen als Biomarker.
Sie beschäftigt sich hauptsächlich mit der Methylierung von DNA, um mögliche Unterschiede zu gesunden Spendern zu detektieren.
Weiterhin gab es Vorträge zu „Human Leukocyte Antigenen“ (HLA) und dem Laktatmetabolismus während körperlicher Anstrengung in CFS/ME Patienten.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass viele Aspekte darauf hindeuten, dass es bei CFS/ME metabolische Störungen gibt.
Dies könnte die Ursache für die schwere Erschöpfung bei den Patienten sein. Es gibt außerdem starke Hinweise darauf, dass der Erkrankung ein Serumfaktor zugrunde liegt. Diese Hypothese wird unterstützt durch die Ergebnisse der metabolischen Untersuchungen von Prof. Fluge, aber auch durch die Ergebnisse der „Nanoneedle“ Messungen von Prof. Davis. Ferner bekräftigen die RituxiME Studie von Prof. Fluge und Prof. Mella und die Immunadsorbtionsstudie von Prof. Scheibenbogen die Serumfaktor-Hypothese und deuten speziell auf die Beteiligung von Autoantikörpern hin. Weiterhin sind Veränderungen im Mikrobiom der Patienten von immer größerem Interesse.
Ebenfalls zeigen die verringerte zytotoxische Aktivität der Natürlichen Killerzellen und das Auftreten von Autoantikörpern in Patienten eindeutig eine Störung des Immunsystems in CFS/ME.
Insgesamt war es eine sehr gelungene Veranstaltung, die äußerst reich an Informationen war. Ich konnte sehr viel neues Wissen mitnehmen, besonders über die Themengebiete, die nicht so sehr in Zusammenhang mit meiner Masterarbeit stehen. Besonders interessant war hierbei für mich das Thema Mikrobiom in CFS/ME. Das Highlight der Tagung bildete jedoch die Begegnung mit dem Team rund um Prof. Olav Mella und Prof. Øystein Fluge, deren Forschung mich sehr beeindruckt und gerade auch für mich und meine Arbeit von großem Interesse ist.
Ich denke Stoffwechselprozesse und deren Störungen spielen bei Patienten mit CFS/ME eine bedeutende Rolle, weshalb ich mir dies im Rahmen meiner Arbeit im Labor auch ansehen werde. Der Fokus liegt dabei auf den reaktiven Sauerstoffspezies, welche bei Stoffwechselprozessen und der Immunabwehr freigesetzt werden, sowie dem Laktatmetabolismus und der Fähigkeit der Glukoseaufnahme in Immunzellen.
Deshalb bin ich sehr gespannt auf die weiteren Entwicklungen aus Norwegen und werde diese aufmerksam verfolgen. Weiterhin bot das Dinner am ersten Abend eine tolle Möglichkeit mit anderen Teilnehmern ins Gespräch zu kommen. Ich unterhielt mich mit Kollegen von Prof. Olav Mella über eine mögliche Kooperation im Rahmen der Forschung an genetischen Biomarkern. Ich denke dieses Kolloquium fördert die internationale Zusammenarbeit und ermöglicht dadurch eine hoch qualitative Forschung. Ich bin sehr dankbar für diese tolle Erfahrung und hoffe, dass ich im nächsten Jahr auch wieder dabei sein kann.
Sophie Steiner
Neugierig geworden? Sie haben die Möglichkeit Sophie Steiner und unsere anderen Stipendiaten am 23.09.2017 in Hannover, anläßlich der Jubiläumsfeier 5 Jahre Lost Voices Stiftung, persönlich kennenzulernen! Weitere Informationen über die Veranstaltungen veröffentlichen wir in den nächsten Tagen!
Vorstand Lost Voices Stiftung